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Das St. Martins-Kirchlein in Lech-Aschau (1914)
Aus: Außferner Zeitung vom 21. Juni 1914
Vor alter Zeit, als der Hauptverkehrsweg noch über Roßschläg nach Oberletzen und dem ehemaligen Niedergericht Aschau, dem heutigen Lech-Aschau, führte, entstand am äußersten Nordende des Ortes, bei den sogenannten 'Steinawanda', das 'Bachekirchele'.

Martinskapelle
Die kleine Kapelle soll im 13. Jahrhundert von der damaligen Pfarre errichtet und dem heiligen Martinus zu Ehren erbaut worden sein. Kögl nennt sie in seiner 'Beschreibung der Kirchen und Kapellen des Dekanates Breitenwang' ebenfalls unter dem Titel: St. Martin an der Steinwand zu Lech. Ursprünglich war dieselbe ein
Holzbau, auf vier Säulen ruhend, und teilweise ausgemauert. Ein späterer Wohltäter und Besitznachfolger umgab im Jahre 1830 die Kapelle mit einer vollständigen Mauer und renovierte sie gründlich . Die entstandenen Kosten trug er selbst. Dem hohen Dachfirst setzte er noch ein Türmchen auf und ließ durch den alten Glockengießer Nikolaus Falger ein Glöcklein gießen, welches die Jahreszahl 1840 trägt. Dasselbe ist 17 Pfund schwer und kostete 17 alte Gulden. Das ursprüngliche teilweise Mauerwerk war auf drei Seiten mit Gemälden geschmückt, auf der Ostseite St. Martin, welches Bild heute noch sichtbar ist, auf der Westseite St. Georg, welches leider übertüncht wurde. An der hohen Giebelseite war die heilige Dreifaltigkeit gemalt, aber vollständig verbleicht und abgewittert. Der verstorbene Kunstmaler und Professor Schmid in Karlsruhe, ein geborener Lech-Aschauer, malte in seinen Studienjahren an diese Stelle eine am Kreuze hängende lebensgroße Christusfigur. Das Innere ziert ein schmuckes Altärchen mit dem Bilde des heiligen Martinus, gemalt von dem verstorbenen Maler
Köpfle in Höfen um den Preis von 11 alten Gulden. Am Plafond ist ebenfalls die heilige Dreifaltigkeit dargestellt.
Der eingangs erwähnte Name 'Bachekirchele' ist dadurch entstanden, daß oberhalb des Kirchleins in einem dort stehenden Hause eine alte Familie mit dem Namen 'Bach' wohnte. Heute stehen an dieser Stelle zwei schmucke Bauernhäuser, die von zwei Brüdern bewohnt werden. Seit vielen Jahrzehnten ist nun das Kirchlein im Besitze der Familie der 'untern Müller', die auch bis heute für die Instandhaltung sorgte. Mehrere Generationen hindurch wurde von der Familie hier der Abendrosenkranz gebetet.
Vor vielen Jahren erblindete der längst verstorbene 'alte Müller', aber dennoch fand er den Weg zum alten Kirchlein, um seinen Rosenkranz zu beten und erlangte dadurch, wie er oft selbst erzählte, viele geistige und leibliche Gnaden durch die Fürbitte des heiligen Martinus.
Ein Mann erzählt folgendes: 'Als ich noch ein ganz kleines Kind war, überkam mich ein ungewöhnlich langer Schlaf, so daß ich schon zwei Tage und Nächte schlief, ohne aufzuwachen. Die Eltern und die Wärterin waren in größter Sorge und versprachen Kerzen zu opfern und mich in die Kapelle zu bringen, wenn ich aufwache, und siehe, nach kurzer Zeit schlug ich die Augen auf. Wenn ich jetzt den Ton des Glöckleins vernehme, so mutet es mich immer ganz eigenartig an wie
ein Klingen aus längstvergangenen Tagen'. Der Ton ist wirklich eigenartig silberhell und rein.
Es ist an dem Kirchlein auch ein Opferstock angebracht, der in früheren Zeiten manchen Gulden abwarf. Besonders die Fuhrleute, die den wegen seiner Steigungen am wilden Lechflusse entlang führenden nicht ungefährlichen Weg befahren mußten, gaben reichlich.
Ferner war der Ort in der Landbevölkerung wegen seiner erhöhten Lage allgemein bekannt als Ort zum Abschiednehmen. Man konnte von hier aus noch einen letzten Blick auf die Heimat oder das Vaterhaus und auf die heimatlichen Berge werfen. In früheren Zeiten, wo noch fast alle männlichen Einwohner im Sommer zu den Maurern ins Ausland gingen und selbst das 'Felleisen' auf dem Rücken bis an ihren Bestimmungsort trugen, nahm an dieser Stelle so manche Mutter vom Sohne oder die Gattin vom Gatten, die Verlobte vom Geliebten Abschied und sagten sich das so poetisch klingende 'B'hüt di Gott!' Aber auch im Herbste, besonders um 'Martini'
herum, war wieder hier der Treffpunkt für die so lang Ersehnten. Sie traten dann
gewöhnlich ins Kirchlein, um ein kurzes Dankgebet zu sprechen und vergaßen dann auch nicht, ein Scherflein in den Opserstock zu legen. Wegen dieser Eignung zum Abschiednehmen und 'Grüß Gott-Sagen' war das Kirchlein auch bekannt unter dem Namen 'Tränenkirchlein'. Heute ist diese Poesie des Lebens vollständig verschwunden, denn die hastende moderne Zeit hat für solche Gemütseindrücke keinen Raum mehr übrig. Nur die alte 'Müllers Mariann' hält noch fest an dem alten Brauch ihres Vaters und dessen Vorfahren, dort an milden Sommertagen den
Abendrosenkranz zu beten.