Ernberg unter bayrischer Herrschaft
Aus: Ausferner Bote (1924) - Serie
Anfangs blieben in Außerfern die Verhältnisse wie unter Oesterreich. Doch gar bald sollten auch die Bewohner bayerische Regierungsmaßregeln erfahren, denn die Bayern suchten möglichst viele Bayern in die öffentlichen Dienste zu bringen, wobei auch Reutte mit ganz hübschen Beamtenmustern bedacht wurde, welche im Denunzieren ihre Hauptbeschäftigung erblickten. Der 20. Mai 1806 brachte den Leuten die Ueberraschung, daß die Tiroler Kupfermünzen wesentlich an Wert verloren, da ein Kupfersechser nur mehr zwei Kreuzer gelten sollte, ein Groschen nur mehr eineinhalb Kreuzer und ein Soldin einen halben Kreuzer. Am 26. Juni wurden die Wiener Bankozettel zwar noch
als Zahlungsmittel belassen, jedoch nur mehr um zwei Prozent niedriger als der wöchentlich veröffentlichte Augsburger Kurs angenommen, später wurden dieselben ganz verboten, wodurch den Leuten ein unberechenbarer Schaden entstand, während Spekulanten, besonders Juden, den größten Gewinn davontrugen.
Sehr schmerzlich berührte auch besonders das vom Fuhrwesen lebende Ausfern die am 18. Juni 1806 erfolgte 'Regelung' des Maut - und Brückengeldes, die eine wesentliche Verteuerung darstellte, ebenso die amtliche Festsetzung des Salzpreises und die Einschränkung der Salzfuhren vom 30. Juni 1806.
Am 25. Juli 1806 wurde den tirolischen Beamten die bayr. Uniformierung mit der blauweißen Kokarde vorgeschrieben. Am 1. Nov. 1806 erfolgte die Organisation der Landesgerichte und Rentämter. Demgemäß begreift in sich das Landgericht Reutte
das landesfürstliche Gericht Vils, dann das den Gerichtsuntertanen verpfändete Gericht Ernberg und Aschau. Wir werden bedacht sein, diese Pfandschaft baldmöglichst zu lösen. Da indes der Landrichter von Ernberg ohnehin von uns
ernannt wird, so ist er den übrigen Landrichtern gleichzustellen und ihm die Gerichtsbarkeit über Vils zugleich zu übertragen. Bezüglich der Rentämter wurde bestimmt: 'Das Rentamt Reutti, welches gleiche Grenzen mit dem Landgerichte hat, zählt folgende Unterämter: die Zollämter Reutti, Ehrwald, Roßschläg, Pinswang, Kniepaß, Vils und Steeg; dann die Weggeldämter Heiterwanq, Roßschlag, Pinswang , Vils, Nesselwängle und Vilsrein. Das Hauptmautamt in Reutti wird mit dem Rentamte vereinigt und das vorhandene Amtsgebäude dazu verwendet'. Das übergeordnete Kreisamt 'Oberinntal' war in Imst. Als neu ernannter Aktuar kam der Aktuar der Distriktskommission Straubing, Maximilian Ott, nach Reutte. Das Jahr 1806 brachte noch das Verbot der Christnachtmette. Als trauriges Zeichen der Auflösung der alten Herrlichkeit erfolgte 1806 auch die vollständige Abtragung der Festung
Ernberg. Die Herbstmonate des Jahres 1806 waren außerordentlich mild, so zwar, daß am Weihnachtsfeste Jünglinge mit am Säuling gepflückten Erdbeeren ihre
Hüte schmücken.
Am 18. April 1807 erschien ein Erlaß, worin bestimmt wurde, daß die Breite der Schlittengeleise auf dasjenige der Wagenbreite geregelt werden sollte, mit dem
Zusatze, daß bis Winter 1807/08 die Schlitten so hergerichtet sein sollen. Auch stellte ein Erlaß vom gleichen Datum das planlose Wasserverbauen ein und bestimmte, daß die Pläne der Lecharbeiten der einschlägigen Straßeninspektion vorzulegen sind.
Die Klause erhielt 1807 eine neugebaute Kapelle. Ihr Ursprung ist folgender: Ein ehemals dort in Garnison liegender Soldat hatte den unter dem Kreuze fallenden
Jesus in Lebensgröße aus Holz geschnitzt und neben die Landstraße gestellt. Um das Bild vor dem Wetter zu schützen, baute man anfänglich eine hölzerne Bedachung
darüber. Weil dieser Ort an der gefährlichen, steilen alten Katzenbergstraße lag und zur Andacht mahnte, fiel von den zahlreichen Fuhrleuten manches Opfer. Mit diesem und mit andern freiwilligen Beiträgen stellte man die Kapelle her und stille Andacht herschte daselbst.
Einen weitern Akt religiöser Gesinnung finden wir im gleichen Jahre in Berwang, dort stifteten wohltätige Gemeindemitglieder, dann Michael Haid und seine Gattin
Susanna zu Nassereit, um das Seelenheil und die Schulanstalten zu fördern, ein Kooperatur-Benefizium, das protokollarisch am 19 . Juli 1807 in Gegenwart des Kuraten und der Gemeindevorstehung, von seiten des Gerichtes Ernberg errichtet wurde.
Im Jahre 1807 kam auch Kronprinz Ludwig von Bayern ganz unerwartet nach Reutte und besah den Stuibenfall. 1807 herrschte in Lech-Aschau eine große Feuersbrunst. Zum Nachteile der hiesigen Bevölkerung machte sich in diesem Jahre die Errichtung eines Tiroler Säger-Bataillons, für das in freier Werbung 888 Mann zusammengebracht werden sollte, sowie die von Napoleon zur Bekämpfung der Engländer verhängte 'Kontinentalsperre' bemerkbar, da besonders die Musselin- und Kattunfabrikation in Reutte und Lermoos betroffen wurden, so daß sie dem Verfalle entgegensahen.
Noch größere Veränderungen in Verwaltung und verschiedenen andern Regierungszweigen brachte das Jahr 1808. Waren schon 1806 und 1807 Verordnungen über den Impfzwang gegen die allseits herrschenden Blattern erflossen, so wurden doch erst diese Gesetze 1808 strengstens durchgeführt. Ebenso das Verbot des Wetterläutens, sowie die Anordnung über die Reinheit der Straßen in den Ortschaften. Auch noch verschiedene andere Reformen, so die Einführung eines einheitlichen Maßes und Gewichtes waren Vorbereitungen zum vollständigen Bruche mit der Altzeit und zur Einführung der Konstitution, welche am 1. Mai 1808 erlassen wurde und ganz nach französischem Muster hergestellt war.
Der Name Tirol verschwand im Innkreis, Etsch und Eisaktal. Das Gericht Ernberg wurde im Landgericht Reutte weitergeführt und dem Innkreise untergeordnet. Davon wurde jedoch das Amt Vils mit drei viertel Quadratmeilen und 799 Einwohnern losgetrennt und dem Illerkreise angegliedert.
Bei der Durchführung der Stiftungsadministrationen wurde das Landgericht Reutte Administrationsbezirk und mit einem Administrator für Kultus, Erziehung, Unterricht und Wohltätigkeit besetzt.
Alle Privat-Wohltätigkeitsstiftungen wurden von der Regierung oder unter deren Aufsicht verwaltet. — Die Gemeinden wurden durch Erlässe vom 28. Juli und 24.
September neu reguliert. — Die Rentämter wurden den Kreisfinanzdirektionen unterstellt und hatten den gesamten Steuerdienst. Das Medizinalwesen-Edikt vom 8. September 1808 verbot die ärztliche Praxis ohne Prüfung und bestimmte für jeden Landgerichtsbezirk einen eigenen Landgerichts- oder Stadtarzt, der die Aufsicht über sämtliche Aerzte des Bezirkes, sowie über Vorkommen und Verlauf der Krankheiten im Bezirke hatte. Durch die Umgestaltung der Generalbergwerks-Administration wurden die im Landgerichte Reutte liegenden Waldungen der Generaladministration der Salinen zur Oberaufsicht übergeben und gehörten zur Salinen-Forstinspektion in Hall, welche dem dortigen Salzoberamte untergeordnet war. In Reutte war ein Waldmeister (sechs andere im ganzen Forstbezirk) dem Forst- und Waldhüter unterstellt.
Auch in den Schulangelegenheiten wurde Ordnung geschaffen durch Festsetzung der allgemeinen sechsjährigen Schulpflicht mit neuem Lehrplan nebst Einführung von
Lokal-Distrikts- und Kreisschulinspektoren, deren erstere Geistliche und letztere weltliche Personen waren. Die Gerichtsordnung wurde ebenfalls einer abermaligen Neuregulierung unterworfen, die Geschäfte teils vereinfacht, teils eine raschere Erledigungsweise eingeführt, wobei aber allerdings durch Aufhebung der alten, niederen Gerichte den Leuten viele Unbequemlichkeiten verursacht wurden. Vielfach erfolgte auch eine Vermehrung und Neubesetzung der richterlichen Stellen, da die Regierung sozusagen mit Volldampf arbeitete und keinen Schlendrian duldete. Reutte erhielt zwei neue Assessoren. Auch der Richter von Reutte, Froschauer, obwohl als tüchtiger Jurist anerkannt, wurde wegen seines hervorleuchtenden Austriazismus (so weit hatten es die verschiedenen bayerischen Denunzianten doch
schon gebracht) zur Versetzung beantragt. Der abtretende Arco schilderte Froschauer jedoch beim Könige als geschickt und daher für seinen Posten brauchbar.
In wichtiger Folgerung der neuen Verhältnisse wurde die Pfandschaft Ernberg von der Gerichtskommunität 1808 selbst aufgekündet und sohin vom 1. November 1808 an vom landesfürstlichen Aerar übernommen, was jedoch infolge der nächstkommenden Ereignisse erst mit allerhöchster königlicher bayerischer Entschließung vom 7.
Juli 1811 mit dem Beisatze die Genehmigung erhielt, daß statt der damaligen nicht stattfindenden baren Heimzahlung des unterdessen auf 60000 Gulden R. W. angewachsenen Pfandschillings, dessen Verzinsung mit 5 Prozent aus der kgl. bayerischen Schuldentilgungskassa zu erfolgen habe.
Das Gericht hatte wesentliche Verluste durch die Abtrennung von Vils erlitten. 1808 trug die Herrschaft Vils 1358 fl 39 Kr, früher der Zoll daselbst 1818 fl nach zehnjährigem Durchschnitte und die sämtlichen Lehen 36 Gulden.
Musau zählte 1808 in 36 Häusern 38 Familien und 223 Einwohner, wovon 19 Häuser, 19 Familien mit 91 Einwohnern dem Stifte Füssen, das übrige der Herrschaft Vils gehörte. Erstere waren dem Reiche steuerbar (32 fl), nach Füssen leibeigen, mußten fronen (was sie mit Geld ablösten), waren totfällig , nach dem Tode 'jedes
Gutsbesitzers fiel das beste Pferd oder die beste Kuh dem Stifte zu (ebenfalls mit Geld abgelöst), zahlen Ein- und Auszugsgeld. Im Jahre 1808 zahlte das äbtische Musau außer der Landessteuer 122 fl 21 kr. — Die Leibeigenschaft wurde durch die Konstitution ebenfalls aufgehoben.
Wichtig war ferner die militärische Organisation. Am meisten Widerstand erregte die Umwandlung des Tiroler-Jäger-Regimentes in das 7. leichte 'Infanterie Bataillon Günther' und die Auflösung des Generalkommandos für Tirol nebst der Zwangsrekrutierung. Die Stellung der Rekruten sollte nach der alten Tiroler Zuzugsordnung, aufgeteilt nach der Bewohnerzahl der einzelnen Gerichte, erfolgen und zu diesem Zwecke wurde 1809 am 8. Februar die Beschreibung der waffenfähigen Mannschaft vom 19. bis zum 40. Jahre — 'die Konskription' — angeordnet. Das Landgericht Reutte sollte bei 16345 Einwohnern 40 Rekruten stellen, (Innkreis 330, Tirol 1000) bei sechsjähriger Dienstzeit.
Waren die Außerferner auch nicht bei jeder Neuerung dergleichen Ansicht mit den übrigen Tirolern, in dem Punkte widerstrebten sie ebenfalls auf das äußerste und
unter den ersten Bezirken. Die Gemeinden Lermoos, Biberwier und Berwang erklärten in Lermoos am 20. Februar 1809, vielleicht aufgestachelt von den österreichischen Agenten, unter Berufung auf die alttirolische Verfassung, welche sie von der Stellung befreie, dem konskribierenden Beamten, daß sich ihre Burschen zur Einschreibung nicht stellen würden. Die Biberwierer sagten, die Konskription sei in der Verfassung nicht enthalten; drohe dem Lande Gefahr, so wollen sie den Landsturm aufrufen. Anfangs war der Landrichter ratlos. Nach wenigen Tagen trat jedoch eines der aus München für Tirol angekündeten Bataillone (Wrede) ein und unterbrach auf Anrufen der Gerichtsbehörde den Marsch. Die Soldaten wurden den sich weigernden Gemeinden ins Quartier gelegt, die Rädelsführer herausgesucht und mit Stockstreichen bestraft. Am folgenden Tage kamen dann die Musterrollen auch zustande. (Bericht Froschauers vom 28. Februar 1809). Bei der vollständigen Verteilung der Truppen zur Konskription in Tirol wurde eine Kompanie nach Berwang gelegt.
Am 8. März erließ Lodron, Generalkommissar des Innkreises, erst den zweiten Teil der Konskription im genauen Regulativ an die Richter, nach der bestimmt wurde: Die Auswahl wird durch Würfeln getroffen. Jeder Bursche tritt einzeln in das Zimmer des Richters und erhält in einer Blechbüchse fünf Würfel. Die geworfene Zahl wird notiert. Jene welche die höchsten Nummern werfen sind dem Konskriptionskommissar abzustellen.
Ist der Bursche nicht anwesend, so würfelt für ihn der Vater oder der nächste Verwandte.
Befreiungen vom Militär wurden unter verschiedenen Titeln angesucht und auch gewährt. Darunter erhielten am 9. März 1809 die Holzknechte der Hirnschen Kompanie, wenn sie wirklich in der Salinenholzarbeit stehen und unentbehrlich sind, die Militärfreiheit.
Zur wirklichen Aushebung der Rekruten scheint es jedoch damals nach den aufständischen Vorgängen in Innsbruck und Axams auch in Außerfern nicht gekommen zu sein, da schon im März 1809 in Reutte sich Aufstandszeichen zeigen, und im April der allgemeine Tiroler Aufstand ausbrach, der alle Regierungsmaßnahmen im Keime erstickte.
Dagegen erhielt Reutte noch sozusagen vor Torschluß die Bewilligung einer Getreideschranne mit Entschließung des Königs, datiert 1. Februar, verlautbart vom Generalkreisamt Innsbruck am 9. April 1809. Am ersten Freitage nach Georgi 1809 sollte die Eröffnung stattfinden.