Einem verwegenen und leidenschaftlichen Wildschützen von Obertiefenbach hatten die Jäger der Umgegend einstmals lange Zeit stets vergeblich aufgelauert. Wie sie es auch angehen mochten, die Gewandtheit und Schlauheit des Wilderers, der ein trefflicher "Härzer" (Kletterer) und Springer war, vereitelte alle ihre Anschläge und trug ihnen nur Spott und Hohn ein. Da wollten sie zuletzt ihre Zuflucht zur Arglist nehmen und dem verhaßten Wilderer eine Falle stellen, der er gewiß nicht entginge. Sie wußten, daß er sein Revier sich am liebsten in der Nähe des Zwingsteges wählte, über den er im schlimmsten Falle leicht in das nahe österreichische Gebiet flüchten und sich retten konnte. Wie sie nun ihn wieder einmal in dessen Nähe wußten, scheuten sie nicht zurück, heimlich und mit aller Vorsicht die zwei Balken des Zwingsteges, der über die grausige Schlucht führte, fast ganz durchzusägen, daß sie sich nur noch selbst kaum zu tragen vermochten und beim ersten Tritt, den ein Ahnungsloser auf sie machte, mitsamt diesem in den Abgrund stürzen mußten. Darauf umzingelten sie das Gebiet derart, daß der Wilderer sich immer mehr gegen den Steg zurück ziehen mußte und zuletzt nur über diesen entfliehen konnte, wobei er dann, wie sie erwarteten, seinen Lohn in der grausen Tiefe fände. Allein auch diesmal täuschten sie sich; der vorsichtige und scharfblickende Wilderer hatte die Pläne der Jäger durchschaut, und als er zum Steg kam, machte er einen gewaltigen Sprung und setzte der Länge nach über den Steg und die Schlucht weg, ohne einen Balken zu betreten. Dann verlachte und verhöhnte er die Jäger, die sich nun selbst den Weg zur Verfolgung abgesperrt hatten und obenein noch für einen neuen Steg aufkommen mußten. Den gewaltigen und verwegenen Sprung über die schauerliche Schlucht aber hat seitdem keiner mehr dem Wilderer nachgemacht.
Reiser, 1895