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Die Reise des Felix Fabri (1483)

Fratris Felicis Fabri

Aus: Allgemeiner Tiroler Anzeiger vom 25. Jän. 1908
Eine Reisebeschreibung des 15. Jahrhunderts aus Tirol

Am 15. Tage des Monats April reisten wir in Eile von Memmingen bis Kempten und speisten dort mitsammen. Nach dem Essen entließ ich den Diener und befahl ihm, zu seinem Herrn zurückzukehren. Ich aber kam in großer Eile zum Fuße des Gebirges. Denn ich fürchtete, meine Herren möchten vor meiner Ankunft Innsbruck verlassen, und kam bis Reutte (villa Ruti), welches jenseits des Flusses Licus liegt, den das Volk Lech nennt, und blieb dort über Nacht.

Am 16. Tage morgens brach ich allein von Reutte auf und wanderte in die Rätischen Alpen, denn dort befindet sich der Eingang in die Rätischen Alpen, und der jähe Abstieg ist zur Regenzeit sehr schlecht und voll tiefen Kotes. Ich hatte sehr schlechten Weg, weil es am vorigen Tage geregnet hatte und in der Nacht darauf fiel Schnee auf den Kot und ich konnte die tiefen Löcher nicht sehen. Und so versank das Pferd, das ich mit der Hand hinaufführte, bei jedem Schritt bis zum Bauch in die Tiefe und ebenso ich bis an die Knie. In den Gruben aber versanken wir noch tiefer. Endlich aber schritt ich durch den Paß der Rätischen Alpen, der Ehrenstein heißt, und kam zum Abstieg des Berges Fern (Feritii [montis Fericii]). Als ich diesen überschritten und auf der anderen Seite herabgekommen war, sah ich, daß mir noch ein großer Teil des Tages übrig sei und ich ging durch das Dorf Nassereit (villa Nazarith) und stieg wieder einen sehr hohen Berg empor und kam in das Dorf Schneckenhausen und dort beschloß ich, zu übernachten. Im Wirtshause saßen noch Knappen vom Silberbergwerke, welche spielten, tranken und sich's wohlsein ließen. Die Gesellschaft dieser Leute war mir verdächtig und ich war behutsam im Umgange mit ihnen. Der Wirt überließ mir eine kleine besondere Kammer, deren Schluß ich fleißig besorgte, und so schlief ich.

Am 17. Tage morgens, als die Leute aufstanden, erhob sich ein großer Lärm im ganzen Hause, weil sich zwei Fuhrleute beklagten, ihre Ranzen mit dem darin befindlichen Gelde seien abhanden gekommen. Denn während sie schliefen, gingen jene Bergwerksgesellen diebischerweise in ihre Kammer, zogen ihre Ranzen unter dem Kopfkissen heraus, leerten sie und warfen die leeren Geldbeutel in den an das Haus stoßenden Garten — sie selbst aber liefen, während alles schlief, mit dem Gelde auf und davon.

Bei Sonnenaufgang aber entfernte ich mich von diesem Orte und ging furchtsam weiter, in der Besorgnis, jene Diebe möchten mich aus dem Wege überfallen; aber es begegnete mir kein Unglück. Mittags kam ich in die Stadt Innsbruck (Pontina), in der Hoffnung, dort meine Herren zu finden. Aber ich war in meiner Hoffnung getäuscht. (Der Ort heißt lateinisch Pontinum, zu deutsch Insprugg, weil Pontinum gleichsam heißt: Brücke des Innflusses, was der Name Innsprugg bedeutet. [Pons Ini fluvii]) Denn wie ich schon auf der Brücke der Stadt zuschritt und sie betreten wollte, kamen mir fünf Waffenträger meiner Herren entgegen, welche sie in die Heimat zurückgeschickt hatten. Sie selbst waren am selben Tage morgens von Innsprugg abgereist. Denn die vielen Tage hindurch hatte es sie in der Residenz des Herzogs verleidet; deswegen taten sie sobald als möglich ihre Geschäfte ab und entfernten sich um einen Tag früher, als mir Herr Johannes Truchsas den Termin bestimmt hatte. Denn ihr Geschäft beim Herzog war dieses gewesen, daß sie ihm alles, was sie zurückließen, ihre Weiber, Kinder, Lande, Landgüter, Städte und Burgen, Dörfer und Grundstücke übergaben; überdies hatten sie von ihm Geleitsbriefe (litterae promotoriales) an den Dogen und den Senat von Venedig erhalten. Nachdem dies abgetan war, reisten sie ab. Da ich die Herren in der Stadt nicht gefunden hatte, ging ich schnell durch dieselbe hindurch und folgte ihnen, stieg im Gebirge umher und kam durch viele Bergkrümmungen in ein großes Tal, das Matra (Matrei) heißt und übernachtete daselbst.

Am 18. Tage stieg ich von Matra ins höhere Gebirge empor und überschritt das Joch des sogenannten Brennerberges und war durch heftige Kälte belästigt, denn dort ist auch zur Sommerszeit Schnee, Reif und Eis nichts Ungewöhnliches. Von diesem Joche stieg ich auf der anderen Seite einen langen Weg hinab und kam in die Stadt Sterzingen, und fand dort im Wirtshause (hospitium) meinen Herrn mit anderen Adeligen und ihren Dienern. Ich fand dort den Herrn Heinrich von Stöfel [Freiherr Heinrich von Stoffeln] und den Herrn Johann von Truchsas [Truchseß Johann von Waldburg] und den Herrn Ursus von Rechberg; der vierte aber, Herr Johann Wernher Baron von Cymbern [Freiherr Johann Werner von Zimmern], war ihnen vorausgereist, um in Venedig für die Herren und uns alle eine passende Unterkunft zu besorgen.

Am 19. Tage brachen wir nach dem Frühstücke von diesem Orte auf und da wir in der Nähe von Neustift, einem Konvente regulierter Chorherren unweit Brixen waren, kam uns der Vorsteher des Klosters [Lukas Härber von Ringelsberg; Propst von Neustift 1483 - 1503] entgegen und führte uns alle mit sich in das Kloster wegen des Herrn Johannes Truchsas, den er hochachtete, weil er von Waldsee, wo Herr Johannes Truchsas haust, zum Vorsteher jenes Klosters berufen worden war. Der obgenannte Vorsteher wollte uns aber am selbigen Tage nicht von sich lassen, sondern zwang uns, zu bleiben und bewirtete uns aufs reichlichste. Denn es ist ein stattliches und sehr reiches Kloster. Kaum sah ich jemals so viel goldenes und silbernes Geschirr, wie auf der Tafel seines Vorstandes. Das Kloster hat eine geräumige Kirche mit kostbarem Schmuck und eine gute Büchersammlung. Es sind dort ernste und dienstgetreue Männer; niemals glaube ich einen so regelrechten und guten Chorgesang gehört zu haben, wie in diesem Kloster.

Am 20. Tage, welches der Sonntag Jubilate war, blieben wir beim Gottesdienste und nahmen ein Mittagmahl in Neustift (cella nova); dann verließen wir das Kloster. Durch Brixen aber gingen wir in Eile, weil man den Herren sagte, daß eine Seuche wüte [die Pest]. Andere Male jedoch hatte ich in jener Stadt übernachtet. Es ist dort ein überreiches Bistum. Deswegen entstehen häufig, wenn ein Bischof stirbt, viele Zänkereien und Streitigkeiten und Störungen um die Erlangung der bischöflichen Würde und jene ganze Gegend ist durch das Interdikt und kirchliche Strafen gedrückt. Ich erinnere daran, daß wegen dieses Bistums der jetzige österreichische Herzog Sigismund und jene ganze Gegend durch das strengste Interdikt und den schwersten Kirchenbann bestraft wurde. Die Kathedrale ist schön. Einmal stand ich in dieser Kirche und betete mit einem Mitbruder die Horen; da schickte der Kirchpropst und Groß-Kanonikus seinen Kapellan zu uns und ließ uns fragen, ob wir einem Bettelorden angehörten und, nachdem er die Wahrheit erfahren hatte, reichte er uns ein reichliches und gutes Almosen. Sehr gut stände dort der Konvent der guten Brüder, denn in der ganzen Diözese haben die Mendikantenorden keinen Konvent. Es sind aber dort so ernste Kanoniker, daß sie in Neustift keine anderen als reformierte Mönche dulden wollen. Doch gehört das Kloster Neustift jenen Chorherren und vor nicht langer Zeit war die Kirche von Neustift die Kathedralkirche: aber nachdem diese in die Stadt verlegt worden war, setzten sie dort die regulierten Chorherren ein.

Brixen hatten wir im Rücken und wir kamen zum Kuntersweg (via conteri [der alte Handelsweg hatte von Bozen über den Ritten nach Säben und Klausen geführt. Der Bozener Bürger Heinrich Kunter baute 1314 einen bequemeren neuen Weg durch das Eisacktal bis Kollmann, wo er sich mit dem alten Weg vereinigte.]), auf dem wir leicht emporstiegen, weil der Herzog von Österreich ihn so anlegen ließ, daß man mit Wagen auf und abfährt, mit Beiseitelassung aller anderen Wege. Deshalb errichtet jetzt der obgenannte Herzog auf dem Höhepunkt jenes Weges ein gar hohes und kostbares Haus, um daselbst einen Wegzoll zu errichten. Es sind noch nicht zwei Jahre her, seit jener Weg so schlecht und halsbrecherisch war, daß ihn ein Mensch, das Pferd hinter sich schleppend, nur mit großer Mühe passieren konnte. Mit welcher Angst ich auf meiner ersten Reise jenen Weg passierte, das weiß ich. Denn da sind auf der rechten Seite die tiefsten Täler und da­rüber war ein schmaler Pfad, turmhohe Felswände zur Linken, ein sehr tiefes Tal zur Rechten. So schmal und gefahrvoll war jener Weg, daß man allgemein verbreitete Lieder von ihm sang. Aber jetzt, wie gesagt, ließ der Herzog durch Feuer und Pulver die Felsen auf künstliche Weise sprengen und die Vorsprünge weghauen und die großen Steine entfernen und durch viele Unkosten verwandelte er die rauhen Stege in geebnete Wege; und nicht nur dort, sondern noch an mehreren Orten in den seiner Macht unterworfenen rätischen Berglanden. Der obgenannte Weg ist zwei deutsche Meilen lang; als wir denselben zurückgelegt hatten, stiegen wir in die Stadt Bozen (Bozana [Bozanum]) hinab, die wir durch eine jüngst ausgebrochene Feuersbrunst fürchterlich und beinahe ganz niedergebrannt fanden; und das Feuer war noch nicht einmal gelöscht, sondern wir sahen noch Flammen und Rauch von den Schutthaufen aufsteigen und rochen die Brunst. Die Klöster jedoch und die Kirchen blieben gleichsam wunderbarerweise verschont. Unser Prediger-Kloster hatte an vielen Punkten zu brennen begonnen, allein die Tätigkeit und die Anstrengung der Brüder, die auf den Dächern herumeilten, brachten die Löschung zustande. Doch nahm das Feuer auch in unserem Konvente so überhand, daß die Brüder ohne Gottes Hilfe den Brand nicht hätten löschen können. Denn die Decke des Dormitoriums loderte hoch auf und der ehrwürdige Prior, Pater Nikolaus Münchberger, ließ sich, wie ich aus sicherer Quelle weiß, mitten im Feuer auf seine Knie nieder und rief die seligste Jungfrau an und die Hilfe blieb nicht aus.

Vor mehreren Jahren wandelte vor aller Augen ein Feuer durch das Stadttor [vermutlich der Brand 1443], lief durch die Gassen und verbrannte die ganze Stadt. Daher schreibt man ebenso wie diesen Brand auch jenen der strafenden Hand Gottes zu, denn das Volk daselbst ist dem Rausche, der Schwelgerei, dem Stolze über die Massen ergeben. Denn alles bekommt man daselbst gut und wohlfeil zu kaufen und die vorzüglichsten Dinge sind im Überflüsse vorhanden. Da gibt es vortrefflichen Wein und andere süße Früchte. Aber das Klima ist ungesund, weil, wie man sagt, auf jener Seite, wo der frische (recens) und gesunde Luftzug zieht, hohe Berge stehen, die mir die Brüder zeigten, und weil auf jener Seite, wo die Luft hindurchkommt, scheußliche Moraste sind. Daher die Erscheinung, daß es hier viele Fieberkranke gibt und es so etwas gewöhnliches ist, von Fieber behaftet zu sein, daß sie das Fieber gar nicht mehr für eine Krankheit halten. Denn, wenn jemand einem anderen Freunde begegnet und ihn blassen und entstellten Gesichtes sieht, so fragt er: "O Freund, was fehlt dir? Ich sehe du bist krank und siehst schlecht aus." Hierauf antwortet jener: "Bei Gott, mein Freund, ich bin nicht krank, nur das Fieber macht mich matt". Als ich einmal mit einem Laien nach Bozen ging und als wir die Stadt sahen, sagte derselbe zu mir: "Schau', Bruder, ich glaube nicht, daß es eine kältere Stadt in der Welt gibt, als diese." Darüber verwundert, sagte ich: "Dem ist wohl nicht so; im Gegenteil, es ist sehr heiß." Darauf erwiderte jener: "Ich bin nie, auch nicht im Sommer und zur heißesten Jahreszeit in diese Stadt gekommen, ohne daselbst viele Leute zu sehen, die in ihren Winterpelzkleidern dasaßen, farblos vor Kälte und zähneklappernd." Und das sagte er im Scherze von den Fieberkranken.

Viele sind der Meinung, daß die Leute nicht wegen schlechter Luftbeschaffenheit das Fieber bekommen, sondern infolge des guten Weines und der guten Küche, womit sie sich voll anfüllen und Krankheiten zuziehen. Diese Stadt war vor wenigen Jahren welsch und die Umgangssprache war die welsche. Daher kenne ich einen Pater aus Welschland, der nicht ein deutsches Wort wußte und Ausgeher und Prediger im Konvente zu Bozen war. Aber im Laufe der Zeit nahmen die Deutschen überhand und jene Stadt wurde zu einer deutschen. In dieser Stadt blieben wir über Nacht und schauten großes Elend, da viele Menschen ohne Dach und Fach in den Trümmern ihrer Häuser wohnten und viele als arm umwanderten, die vorher reich gewesen waren. Aber jetzt wird die Stadt wieder aufgebaut und sie machen jetzt kostspieligere Anstalten gegen das Feuer als vorher.


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